17. Juni 2024
Angehende Traumdoktorin auf Spitalbesuch
Es ist 12:50 Uhr. In den Umkleidekabinen des Personals im Inselspital Bern macht sich langsam ein positiver Hauch von Aufregung und Nervosität breit. Mor ist zum ersten Mal in der Kinderklinik eines Spitals – und das nicht nur als Zuschauerin. Zusammen mit ihrer Mentorin, der langjährigen Traumdoktorin Katharina Amrein («Dr. Carusela») wird die Schauspielerin und Performance-Künstlerin während vier Stunden von Zimmer zu Zimmer gehen, um den kleinen Patientinnen und Patienten einen Moment der Freude und Abwechslung zu schenken. Mor trägt einen Übungskittel, blaue Stoffhosen und trendige Sneakers. Auf ihrem Kopf thront eine freche Palme. Ihre Augen sind mit hellem Lidschatten dezent geschminkt. Im Laufe der Ausbildung wird Mor ihre eigene Traumdoktor-Figur kreieren und sich einen passenden Namen ausdenken. Begeistert teilt sie Dr. Carusela, die nun ebenfalls geschminkt und in ihrem Kittel als Dr. Carusela erscheint, mit, welchen Künstlernamen sie heute ausprobieren möchte: «Dr. Na guet».
Es ist 13 Uhr. Die Kinderbesuche beginnen. Wir sind auf der nächsten Station. Im Stationszimmer holen die Künstlerinnen alle wichtigen Informationen bei den Pflegefachpersonen ein. Sie erhalten eine Liste mit den jeweiligen Zimmernummern, den Namen der Kinder, deren Alter und Diagnose und, falls zu berücksichtigen, dem gesundheitlichen und mentalen Zustand des Kindes. Katharina zeigt Mor die Liste und erläutert die Bedeutung der einzelnen Angaben. «Als Mentorin sorge ich in den ersten Besuchen dafür, dass sich die angehende Traumdoktorin nicht in den langen Gängen des Spitals und unangenehmen Situationen verirrt», erklärt die Künstlerin. Meine Aufgabe ist es, einen roten Faden auszulegen an dem sich die Auszubildenden orientieren können».
Sanfte Töne und eine Fahrt mit dem Karusell
Wir kommen beim ersten Zimmer an. Dr. Carusela klopft sachte an die Türe und öffnet diese einen Spalt. «Dürfen wir reinkommen?», fragt sie. Kurz darauf betreten die beiden Künstlerinnen das Zimmer. In einem kleinen Bettchen liegt die kleine Mila*, von einem Stillkissen umgeben. Mila ist erst fünf Tage alt. Sie hatte keinen einfachen Start im Leben und muss für ein paar Tage zur Beobachtung im Spital bleiben. Mila bewegt ihre Beinchen und saugt aufgeregt an ihrem Nuggi. Neben ihr sitzt ihre Mama schaut zu den beiden Künstlerinnen auf.
Mor und Dr. Carusela beugen sich vorsichtig über das Bettchen. Sie sprechen mit Mila und sagen ihr, wie sehr ihnen ihr Name gefalle. Danach zieht Dr. Carusela eine Calimba aus ihrer Kitteltasche und beginnt, darauf eine sanfte Melodie zu spielen. «Vielleicht könntest du im Takt ein paar Nuckelgeräusche machen», schlägt die Traumdoktorin ihrer Auszubildenden vor. «Das gefällt Mila bestimmt». Die Mutter von Mila lächelt. Die feinen Töne der Calimba werden von einem schmatzenden, wie an einem Nuggi saugenden Geräusch begleitet. Die kleine Mila wird plötzlich ganz ruhig. Ihre Äuglein schliessen sich. Die Mama von Mila staunt. «Mila ist ganz ruhig geworden, als sie die Musik gehört hat», stellt sie staunend fest. Nun ist der Moment für die beiden Künstlerinnen gekommen, um sich zu verabschieden. Als Erinnerung hinterlässt Mor dem Neugeborenen und seinen Eltern noch eine Postkarte mit ein paar aufmunternden Worten.
Wir bleiben auf derselben Station. Bastian liegt mit einem eingebundenen Bein im Spitalbett. Er ist fröhlich und aufgeregt. Das Pflegepersonal hat ihm mitgeteilt, dass die Traumdoktoren heute alle Kinder besuchen werden und er freut sich sichtlich darauf. Die beiden Künstlerinnen treten ein. «Schau, sie ist heute ganz neu hier», meint Dr. Carusela und zeigt auf Mor. «Sag mal, wie heisst du denn?». «Na guet», erwidert die angehende Traumdoktorin mit ihrem Versuchsnamen. «Nein, ich meinte doch nicht, wie es dir geht», entgegnet Dr. Carusela und runzelt die Stirn. Bastian muss laut lachen. «Ich heisse wirklich so», meint Mor. «Und wie heisst denn du?». Wie Künstlerin überlegt einen Moment. «Komm, wir machen für Bastian ein Ratespiel», schlägt sie dann vor. Kurz darauf galoppieren die beiden Künstlerinnen wiehernd im Spitalzimmer umher. «Rössli», «Pferd», «Ritterin», schlägt der 10-jährige begeistert vor. «Fast», meint Dr. Carusela. «Komm, wir drehen uns im Kreis. Du machst dazu die Musik», schlägt sie Mor vor. Die beiden tun so, als ob sie eine Stange halten und laufen im Kreis herum, während Mor eine Karusell-Melodie summt. «Karusell!», ratet Bastian richtig. «Gut gemacht», sagt Dr. Carusela. «Ich habe das Bild gesehen», verrät Bastian zeigt grinsend auf das bunte Karusell auf dem Rücken des Traumdoktorinnenkittels. Nach einem angeregten Versteckspiel hinter den Sichtschutzwänden verabschieden sich die beiden Künstlerinnen von kleinen Patienten, der sichtlich entspannt ist. Bastians Eltern sind gerade im Gespräch mit einer Ärztin. Später auf dem Gang begegnen wir der Mutter von Bastian. «Es hat Bastian so gefallen. Er war auch nach dem Besuch sehr aufgestellt und hat von euren Spässen erzählt», berichtet sie begeistert. «Ich unterstütze die Stiftung Theodora als Spenderin schon seit vielen Jahren, ohne zu wissen, dass ich eines Tages so froh um deren Existenz gewesen wäre».
Es folgen weitere Kinderbesuche. Nach zwei Stunden treffen sich Mor und Dr. Carusela mit den anderen Traumdoktoren, die an diesem Tag im Kinderspital in Einsatz sind, für eine gemeinsame Pause und einen kurzen Austausch. In der Personalküche treffen sie auf Dr. Tante Flora und Dr. Madam Bonjour. Ein reger Austausch findet statt, bevor sich die Wege der Duos wieder trennen und weitere Kinderbesuche anstehen. Um 17 Uhr geht für die Künstlerinnen ein erfüllter und abwechslungsreicher Nachmittag zu Ende. «Ich habe heute gelernt, dass manchmal weniger mehr ist. Präsenz und Positivität können ausreichen, um dem zu dienen, was die Situation erfordert», meint Mor rückblickend. Sie kann es kaum erwarten, bei ihren nächsten Besuchen im Spital noch mehr zu lernen und ihre Rolle als angehende Traumdoktorin weiterzuentwickeln.