15. Mai 2024

Traumdoktoren mal anders

Die professionellen Künstlerinnen und Künstler der Stiftung Theodora schenken Kindern Woche für Woche wertvolle Momente der Freude. Hauptsächlich in Spitälern und Institutionen für Kinder mit Behinderungen anzutreffen, begleiten sie seit über 17 Jahren auch die Gruppentherapie «SkiP» (Social Skills Performance) in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) Baselland. Diesen Kindern schenken sie nicht nur Lachen, sondern auch Zuversicht und Halt in ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung.

Um uns einen Eindruck über die Rolle unserer Künstlerinnen und Künstler während der Gruppentherapie Skip zu verschaffen, sind wir an zwei Tagen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland vor Ort und beobachten das Geschehen. Wir sind nicht nur an der Schluss-Zirkusaufführung dabei, sondern bereits in einer Vorbereitungssession. «Wer macht den Räuber, das Schleuderbrett, Wilhelm Tell und den Dompteur?», beraten sich die Leiterinnen Simone Stöcklin, Amira Bösch und die beiden Theodora-Künstler Wolle und Sturzman im Vorfeld. «Welches Kind wollte schon wieder den Hund in der Pantomime spielen?» Viele Fragen sind noch offen, werden aber in den nächsten Stunden geklärt.

Dr. Wolle hilft einem Mädchen beim Einstudieren der Zirkusszene.

Anders als sonst

Das Ganze hört sich ziemlich anders an als das, was wir von den Theodora-Künstlerinnen und -Künstler normalerweise kennen. Und so ist es auch. Bei der Gruppentherapie SkiP handelt es sich um ein Angebot, das Kindern im Alter von acht bis zwölf Jahren hilft, ihre sozialen Fertigkeiten zu verbessern und sich in ihrem privaten und schulischen Umfeld besser zurechtzufinden. Die Traumdoktoren stehen hier den Kindern humorvoll zur Seite und studieren mit ihnen während 13 Nachmittagen eine Zirkusshow ein.

Was zunächst einmal einfach klingt, ist für die in den Sitzungen abwechslungsweise involvierten Künstlerinnen und Künstler, Wolle, Sturzman und Chrüsimüsi, eine äusserst anspruchsvolle, aber auch sehr erfüllende Aufgabe. Um möglichst gut vorbereitet zu sein, setzen sich die drei Traumdoktoren vor den Therapiesitzungen jeweils mit den beiden Fachpersonen der Kinder- und Jugendpsychiatrie Baselland zusammen, um das Vorgehen und die Ziele zu besprechen. In den Sitzungen wird spielerisch auf verschiedene Themen eingegangen, wie zum Beispiel Hausaufgaben, Mobbing, Streit, «Stopp/Nein sagen» und Freunde finden. Dabei werden die Bedürfnisse der teilnehmenden Kinder berücksichtigt. Die spielerische Präsenz der Künstlerinnen und Künstler ist sehr willkommen.

Lachen und Lockerheit

Die sechs Kinder, die dieses Jahr an den Sitzungen teilnehmen, kommen ins Zimmer des Jugendhauses Binningen, tauschen sich ungezwungen aus und scherzen miteinander. Dies zeigt, wie viel die Jugendlichen schon vom SkiP-Gruppetherapie profitieren konnten. Vor ein paar Wochen waren die Teilnehmenden sich noch fremd, viele von ihnen hatten Mühe mit alltäglichen sozialen Interaktionen. Nach der Begrüssung mittels origineller Handschläge wird mit den beiden Lehrpersonen und den Theodora-Künstlern Wolle und Sturzman an der Vorbereitung der insgesamt zwölf Zirkusnummern gefeilt.

Momente der Freude und Vertrautheit zwischen zwei Jungs und Dr. Sturzman.

Für Abwechslung sorgt ein Klatsch-Spiel und eine Partie «Menschenschach» unter der Anleitung von Dr. Wolle. Die Kinder machen begeistert mit; auch dieses Spiel macht Spass und zeigt ihnen, wie sie im Team gemeinsam etwas erreichen können. Die Gruppentherapie setzt sich fort mit der Besprechung der Hausaufgaben und diverser Fragen fort. Die Künstler versäumen nicht, die Kinder mit witzigen Einlagen zu amüsieren. Zum Beispiel wird Frau Bösch von Dr. Sturzman getadelt, weil sie jemandem ins Wort gefallen ist. Kurz danach möchte Sturzman eines der Mädchen fangen und kugelt nach einem misslungenen Sprung mit versuchter Drehung weg. Nicht umsonst trägt er seinen Namen! Bei einer Gesprächsrunde gibt Wolle zu, dass er selbst Mühe hat, andere Menschen vorzulassen, und zeigt so den Kindern, dass die Erwachsenen durchaus auch ihre Themen haben, an denen sie arbeiten wollen. Die Stimmung wird so immer wieder aufgelockert und das Gelernte prägt sich besser ein.

Der kleine Dieb darf so richtig dreckig lachen – Anweisung von Regisseur Wolle.

Die Theodora-Künstlerinnen und -Künstler nehmen hier nicht nur künstlerische, sondern auch pädagogische Aufgaben wahr. Sie interessieren sich dafür, wie es den Kindern geht und wie sie sich fühlen. Während sie die Kinder im Spital mit Freude und Abwechslung aufheitern, nehmen sie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie die Rolle von begleitenden Coaches und motivierenden Freunden ein. «Es ist weit mehr als nur Lachen, das wir mit unserer Präsenz verbreiten», bestätigt Kurt Bucher, der u.a. erfahrener Zirkusanimator ist und als Dr. Wolle schon seit acht Jahren in Spitälern und spezialisierten Institutionen tätig ist.

«Die Traumdoktoren ermöglichen uns einen ganz anderen Zugang zu den Kindern.»

«Aufgrund ihres künstlerischen Hintergrunds und dank ihrer professionellen Ausbildung bei der Stiftung Theodora ermöglichen die Traumdoktoren uns einen ganz anderen Zugang zu den Kindern, als dies sonst im Rahmen einer Psychotherapie möglich ist», erklärt Simone Stöcklin, die Leiterin der Gruppentherapie SkiP. «Die teilnehmenden Kinder haben grosse Schwierigkeiten im Sozialbereich, sie ecken in der Schule und im Alltag immer wieder an und erhalten negative Rückmeldungen. Dies ist mit viel Scham und schwierigen Gefühlen verbunden und führt oft zu einer Selbstwertproblematik. Die Künstlerinnen und Künstler können sie unabhängig davon wahrnehmen, sie bei ihren Stärken abholen und ihnen vorleben, dass man über sich selbst lachen kann.»

Es wird fleissig geübt mit der Therapie-Leiterin Simone Stöcklin und den Künstlern.

Gemeinsam gelebte Kreativität

Der von Frau Stöcklin und Frau Bösch geleitete Theorieteil ist beendet, und die Kinder sind nun gespannt auf den praktischen Teil. «Ich möchte die Katze machen!», freut sich ein Mädchen schon. «Ich den Hund!», meldet sich ein Junge. Bei den Zirkusnummern geht es hauptsächlich um Bewegung, Selbstvertrauen und Körpergefühl, wie auch darum, gemeinsam etwas Kreatives zu erschaffen. Die Programmleiterinnen sowie auch die Künstlerinnen und Künstler achten sehr stark darauf, dass die Ideen der Kinder einfliessen und jedes Kind seinen wertvollen Platz im Geschehen findet.

Bei der ersten Nummer, einer Pantomime, gibt es eine Katze, zwei Hunde, ein Mädchen, das ein Heft liest und einen Dieb, der unter der Anleitung von Dr. Wolle «so richtig dreckig lachen darf». Zuletzt erscheint noch ein junger, moderner Wilhelm Tell, der seine Armbrust-Künste gekonnt einsetzt. Die Kinder werden ermutigt, ihre Talente und Stärken zu zeigen.

Die Nummer hat sich dank den spannenden Inputs der Kinder, die voll in Fahrt sind und alle Sorgen zu vergessen scheinen, zu einem kleinen Meisterwerk entwickelt, an dem alle grosse Freude haben. Regisseur Wolle meint: «Es ist einfach schön zu sehen, wie die Kinder mitmachen und sich einbringen. Auch wenn es manchmal Konflikte gibt, gemeinsam lösen wir sie immer.» In kleinen Gruppen werden anschliessend weitere Zirkusnummern geübt, wie zum Beispiel den Schneidersitz auf dem gefürchteten Nagelbrett oder den Kopfstand auf Scherben. Jeder gelungene Versuch wird mit Applaus belohnt, was sich positiv auf das Selbstwertgefühl der Kinder auswirkt.

Mit der Hilfe von Dr. Sturzman (links), Dr. Chrüsimüsi (Mitte) und Dr. Wolle (rechts) stellen die Kinder eine spannende Zirkusshow mit vielen Spezialeffekten auf die Beine.

Show mit viel Humor

Endlich ist es soweit, die Zirkusshow beginnt! Jetzt zeigen die Kinder ihren Eltern und Verwandten, was sie im Rahmen der SkiP-Gruppentherapie erarbeitet haben. Die Traumdoktoren Chrüsimüsi, Sturzman und Wolle helfen im Hintergrund mit und werden hin und wieder von den Kindern auf die Bühne geholt, um die eine oder andere Aufgabe zu erfüllen. Wolle ist ebenfalls als DJ tätig. Ohne die Musik (und was für Musik!) wäre es nämlich nicht halb so lustig. Das hohe Niveau der Darbietungen, die Fertigkeiten und der Mut der Kinder sind beeindruckend.

Sehr überrascht sind wir auch vom Humor der Kinder. Regelmässig geschehen ganz unerwartete Dinge, die für Schmunzeln sorgen. Witze, Scherze, Patzer, «Unfälle», «Versehen»… das macht diese Show neben der Akrobatik, den Sketches und den Mutproben so richtig spannend. Die Leichtigkeit ist nicht zu übersehen. Ebenfalls schön zu beobachten ist die Vertrautheit und Zusammenarbeit zwischen den Kindern, ganz ohne Schwierigkeiten oder Konflikte. Am Ende der rund einstündigen Show stellt Wolle die kleinen Künstlerinnen und Künstler mit ihrem Künstlernamen vor. Danach singen die Kinder ein selbst gedichtetes SkiP-Lied. Nach dem Applaus am Ende sind sich alle einig: Die Arbeit hat sich gelohnt!

Applaus vom ganzen Team am Ende der Show – die Kinder waren grossartig!

Theodora unterstützt vielschichtig

Dieses Projekt zeigt, dass die Präsenz unserer Künstlerinnen und Künstler nicht nur dazu dient, Lachen zu verbreiten, sondern auch einen Mehrwert auf pädagogischer und psychosozialer Ebene sowie im praktischen Bereich der Showgestaltung bietet. Durch ihren Einsatz schenken die Traumdoktoren viel positive Energie, Verständnis, Inspiration und Vorstellungskraft, wovon die Kinder, die bekanntlich alles um sich herum wie Schwämme aufsaugen, besonders profitieren.

Dass die Traumdoktoren mit ihrer lustigen Art und Tollpatschigkeit Schmunzeln und Lachen auslösen, ist ein wertvoller Begleiteffekt. Denn mit Lachen, Freude und Humor lassen sich die Herausforderungen einfacher meistern, ganz egal in welchem Kontext.

Was ist SkiP?

Die Gruppentherapie «SkiP» (Social Skills Performance) wurde 2006 ins Leben gerufen. Sie richtet sich an Kinder zwischen acht und zwölf Jahren, die soziale Schwierigkeiten zeigen und sich unsicher, ängstlich oder aggressiv gegenüber Gleichaltrigen verhalten. Zusammen mit den Theodora-Künstlerinnen und -Künstlern werden mit den Kindern spielerische Übungen zur Stressreduktion und Achtsamkeit gemacht. Zudem lernen sie einfache Kunststücke (Zaubern, Pantomime, Clownerie) mit dem Ziel, die Körpersprache besser anzuwenden und Konflikte anders zu lösen. Daraus entsteht ein kleines Zirkusprogramm, das die Kinder am Schluss für Eltern und Verwandte aufführen.

Lesen Sie das Interview mit der SkiP-Therapieleiterin Simone Stöcklin

Interview

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