06. März 2024

«Ich wäre am liebsten selbst auch Traumdoktor»

Den Künstlerinnen und Künstlern der Stiftung Theodora werden regelmässig Supervisionen angeboten, die ihnen dabei helfen, das Erlebte in den Spitälern und spezialisierten Institutionen zu verarbeiten. Wir haben mit Dr. med. Sepp Holtz über seine Arbeit im Austausch mit den Traumdoktoren gesprochen.

Herr Holtz, wie ist der Kontakt zwischen Ihnen und der Stiftung Theodora entstanden?

Als junger Arzt hat mich die Figur «Patch Adams» sehr fasziniert. Ich habe mich von Anfang an sehr verbunden gefühlt mit ihm und somit auch mit den Traumdoktoren. Im Jahr 2018 bin ich nach Bern eingeladen worden und habe vor den Künstlerinnen und Künstlern einen Vortrag über Entwicklungspädiatrie gehalten. Dieser ist auf Begeisterung gestossen. Ich habe die Sprache der Traumdoktoren gefunden. Im Juli 2021 konnte ich dann die Rolle als Supervisor bei der Stiftung Theodora antreten.

Sie unterstützen die Künstlerinnen und Künstler der Stiftung Theodora, indem Sie diese einzeln oder in Gruppen mit Supervision begleiten. Wie gehen Sie dabei vor?

In der Supervision arbeite ich mit zwei Methoden: Psychodrama und Video-Supervision. Bei der Video-Supervision geht es darum, dass ich die Künstlerinnen und Künstler während ihrer Arbeit filme und die einzelnen Filmsequenzen dann besprochen werden. Beim Filmen wird das schriftliche Einverständnis der Eltern und der Pflegeteams eingeholt. Vor kurzem konnte ich im Luzerner Kinderspital Aufnahmen machen und letzte Woche durfte ich Dr. Pilül und Dr. Schubidu im Universitäts-Kinderspital beider Basel filmen, was wertvolles Material ergeben hat. Mein Wunsch ist es, die Video-Supervision noch mehr auszubauen, weil man dabei sehr viel lernen kann.

Bei der psychodramatischen Methode wird eine Konfliktszene gespielt, wie auf einer Bühne. Beispielsweise wehrt sich ein Kind mit Händen und Füssen gegen eine Blutentnahme und in diesem Moment holt eine Pflegefachfrau zwei Traumdoktoren. Diese betreten den Raum und nehmen Kontakt zum Kind auf. Und plötzlich sagt die Anästhesiepflegerin: «Wir müssen vorwärts machen» und verlangt, dass die Traumdoktoren den Raum verlassen. Eine Frage der Künstlerinnen und Künstler war dann: «Wie sollen wir uns verhalten?». Diese Situation haben wir nachgespielt. Die Rollen des Kindes sowie der Traumdoktoren wurden von den Teilnehmenden verschieden besetzt. Danach haben wir in der Gruppe besprochen, wie man die eigene Rolle wahrgenommen hat. Es ist herausgekommen, dass die Künstlerinnen und Künstler in dieser spezifischen Situation im Raum bleiben sollten, da sie für das Kind als Verbündete gelten.

Ich habe die Sprache der Traumdoktoren gefunden

Welche Themen werden während der Supervision häufig besprochen?

In der Supervision geht es um Selbstfindung, herausfordernde Situationen der Zusammenarbeit zwischen den Künstlerinnen und Künstlern oder zwischen den Traumdoktoren und dem Spitalpersonal. Wir sprechen aber auch über den Tod eines Kindes und wie am besten damit umgegangen wird. Am Anfang wird geschaut, was die Künstler besprechen möchten. Ich gehe dabei nach einem «Dringlichkeitsbarometer» vor und es wird die Frage gestellt, welche Themen heute und welche zu einem späteren Zeitpunkt besprochen werden können. Im Einverständnis mit allen Teilnehmenden wird dann das Thema der Supervision festgelegt.

Eine Traumdoktorin hatte beispielsweise ein einschneidendes Erlebnis. Als sie das Spitalzimmer eines Kindes betreten hatte, meinten die Eltern, sie hätten einen anderen Traumdoktor erwartet, wo dieser sei und sie möchten nur diesen sehen. Diese Aussage hat die Künstlerin irritiert und verletzt. In der Supervision wurde ihr Erlebnis in der Gruppe angespielt und es wurde erarbeitet, wie man in einer solchen Situation reagieren und sich selbst schützen kann.

Wie häufig wird die Supervision den Künstlerinnen und Künstlern angeboten?

Die Traumdoktoren können zwei Mal pro Jahr eine Supervision besuchen. Bei Bedarf dürfen sie auch mehr Supervisionen, darunter auch Einzelgespräche, in Anspruch nehmen. Eine Gruppen-Supervision dauert drei Stunden und setzt sich aus vier bis acht Künstlerinnen und Künstlern zusammen.

Wie wichtig ist eine regelmässige Supervision?

Die Supervisionen werden von den Künstlern als sehr wertvoll erachtet. Die Kunst der Supervision ist es, die Traumdoktoren in ihre Kreativität zurückzuführen und ihre Arbeitsfähigkeit zu stabilisieren.

Sie bieten auch andere Weiterbildungen für die Theodora-Künstlerinnen und -Künstler an. Welche Themen stehen dabei im Zentrum?

Das erste Thema ist die Entwicklungspädiatrie. Ich habe über 20 Jahre lang mit dem Schweizer Kinderarzt und Autor Remo Largo zusammengearbeitet. Er hat stets das gesunde Kind ins Zentrum gestellt und nicht die Krankheit. Ein Ansatz, den auch ich in meinen Aus- und Weiterbildungen vermittle. Hier geht es zum Beispiel darum, wie die Traumdoktoren auf Kinder verschiedener Altersklassen und Entwicklungsstufen reagieren. Wenn der kleine Patient zwei Jahre alt ist, ist es besonders wichtig, dass er bei seinem Entwicklungsstand abgeholt wird und keinen Trotzanfall bekommt.

Mein zweites Thema ist die Teamentwicklung. Die Arbeit der Traumdoktoren soll bekannter werden, was die Zusammenarbeit mit dem Spital- und Betreuungspersonal vertiefen soll. Teilweise wird die Arbeit der Traumdoktoren noch immer belächelt und deren kommunikative Fähigkeiten unterschätzt.

In der Supervision geht es um Selbstfindung

Was denken Sie persönlich über die Arbeit der Traumdoktoren?

Ich bin etwas neidisch. Ich wäre am liebsten selbst auch Traumdoktor. Wir Ärzte sind immer unter zeitlichem Druck. Die Traumdoktoren sind privilegiert, weil sie mehr Zeit mit den Kindern haben. Doch meine Art, wie ich Medizin praktiziere, hat gewisse Ähnlichkeiten zu ihrer Arbeit. Ich merke auch, dass die Künstlerinnen und Künstler eine Nähe und Wertschätzung spüren.

Welchen Mehrwert bieten die Besuche bei Kindern im Spital?

Im Idealfall geht es nachher allen besser: dem Kind, den Eltern, dem Spitalteam. Wenn es zum Beispiel den Pflegefachpersonen gut geht, kommt das wieder den Kindern zugute.

Wie wichtig ist Humor für Sie persönlich?

Ich finde Humor schrecklich (lacht).

Was bringt Sie zum Lachen?

Ich liebe Alltagskomik. Situationen, die überraschend entstehen; diese auszukosten, aufzunehmen und zu verstärken. Ich liebe auch das Spiel mit Worten. In meiner Freizeit zaubere ich. Seit vielen Jahren setze ich die Zauberei auch in der Praxis ein, indem aber der Trick nicht mir, sondern dem Kind gelingt – so wie es die Traumdoktoren machen.

Mit welchen drei Worten würden Sie die Stiftung Theodora und ihre Tätigkeit beschreiben?

Was die Tätigkeit anbelangt, würde ich sagen, sie ist «gegenseitig befruchtend». Das sind zwei Wörter. Und wen ich über das «befruchtend» weiter nachdenke, sind die Traumdoktoren für mich manchmal wie Kaktus-Früchte: aussen stachelig und innen süss.

Dr. med. Sepp Holtz ist Kinder- und Jugendarzt FMH, spezialisiert auf Entwicklungspädiatrie, anerkannter Supervisor SMSH und klinischer Dozent an der Universität Zürich. Er leitete die Gruppenpraxis «Kind im Zentrum» in Zürich und ist Oberarzt der Abteilung Entwicklungspädiatrie im Kinderspital Zürich.

Wir danken Sepp Holtz ganz herzlich für das Interview und seine wertvolle Unterstützung.

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