09. März 2022

Interview mit Dr. Gilbert Zulian, Präsident der Krebsliga

Dr. Gilbert Zulian, Präsident Krebsliga Schweiz

Im vergangenen November erhielt die Stiftung Theodora den Anerkennungspreis 2021 der Krebsliga Schweiz. Zu diesem Anlass haben wir uns mit dem Präsidenten der Krebsliga, Dr. Gilbert Zulian, über die Realität der Kinder und Familien, die von der Krankheit betroffen sind, und über die Unterstützung durch die Traumdoktoren unterhalten.

Dr. Zulian, wie viele Kinder in der Schweiz sind von Krebs betroffen?

In der Schweiz werden jedes Jahr zwischen 200 und 250 Krebserkrankungen bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren diagnostiziert. Ungefähr die Hälfte dieser Kinder sind 4 Jahre alt oder sogar jünger.

Lassen sich Krebserkrankungen heute besser behandeln?

Die Heilungsquote beträgt heute fast 90 Prozent. Im Vergleich dazu waren es zwischen 1980 und 1990 nur ungefähr 75 Prozent. Es wurden grosse Fortschritte in der Behandlung von sogenannten «flüssigen» Krebsarten wie der Leukämie erzielt. Das ist die gute Nachricht. Man muss allerdings bedenken, dass diese Behandlungen oftmals sehr schwer und nicht ohne Nachwirkungen sind. Auch die sogenannten «festen» Krebsarten wie Hirntumore sind immer schwer zu behandeln. Jedes Jahr sterben zwischen 20 und 30 Kinder und Jugendliche an Krebs. Das ist inakzeptabel.

Was bedeutet die Übermittlung einer Diagnose für die Kinder und die Familien?

Ein Desaster, eine Katastrophe und eine Erschütterung des gesamten familiären Gleichgewichts. Für das Kind ist es eine doppelte Bestrafung: krank zu sein und gleichzeitig für eine gewisse Zeit von der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein. Oftmals ist auch ein Elternteil gezwungen, sich selbst auszuschliessen, indem er oder sie die eigene Berufstätigkeit reduziert oder einstellt. Bei den Eltern ist auch eine Form von Schuldgefühlen zu beobachten, weil sie ein krankes Kind zur Welt gebracht haben, das möglicherweise sterben wird. Das ist ein häufiges Gefühl, das sich nicht leicht besänftigen lässt.

Was kann unter diesen Umständen getan werden, damit diese Kinder trotz der schweren Behandlungen und der langen Spitalaufenthalte Kinder bleiben können?

Es ist das familiäre Umfeld, das den Unterschied macht, indem es dem Kind ermöglicht, seinen Platz innerhalb der Familie zu behalten – den Platz, den es vor der Krankheit hatte. Die Schwierigkeit liegt in den Behandlungen, die das Kind gerade von diesem familiären Umfeld entfernen. Natürlich ermöglicht ihm auch ein kontinuierlicher Zugang zu Bildung, Spiel und Unterhaltung, sein Leben als Kind auszuleben. Das Pflegepersonal kann ebenfalls einen Unterschied machen, indem es während den Behandlungen fast eine Ersatzfamilie ist. Ich bin immer wieder beeindruckt von der Resilienz, der Weisheit und dem enormen Mut, den diese Kinder an den Tag legen. Sie schenken uns eine wunderbare Lektion fürs Leben.

Ende des vergangenen Jahres hat die Krebsliga Schweiz, die Sie leiten, der Stiftung Theodora den Anerkennungspreis verliehen. Was war der Grund für diese Wahl?

Das Lachen! Wenn man an die Stiftung Theodora denkt, hat man ein Lächeln auf den Lippen. Das ist ein grosszügiger und mutiger Schritt, den es zu wagen galt. Vor allem ist es eine tolle Arbeit, die nicht nur den kleinen Patienten, sondern auch dem Pflegepersonal nützt. Diese Unterbrechung der Pflegeroutine ist ein Mehrwert, aber dazu muss man ein Vertrauensverhältnis und eine Freundschaft aufbauen. Die Traumdoktoren machen dies mit sehr viel Respekt. Heute wird nicht mehr über ihre Präsenz und ihren Nutzen in den Spitälern diskutiert.

V.l.n.r.: Mirjam Weber und Gilbert Zulian von der Krebsliga Schweiz mit Dr. Chaussette und André Poulie.
V.l.n.r.: Mirjam Weber und Gilbert Zulian von der Krebsliga Schweiz mit Dr. Chaussette und André Poulie.

Es wird oft gesagt, Lachen sei gesund. Ist das wahr?

Natürlich! Aus wissenschaftlicher Sicht ist es erwiesen, dass Lachen die Ausschüttung von Hormonen wie Endorphin und Dopamin anregt, die mit einem Zustand des Wohlbefindens in Verbindung stehen. Lachen ist also in gewisser Weise ein natürliches Antidepressivum. Ich glaube, dass wir das alle schon einmal erlebt haben. Ich würde das Lachen jedoch nicht als Therapie an sich betrachten, es muss spontan bleiben. Das Interessante an den Traumdoktoren ist, dass ihr Ansatz weit über das Lachen hinausgeht. Selbst wenn Kinder krank sind, hört ihre Fantasie nicht auf. Die Anwesenheit der Traumdoktoren nährt genau diese Fantasie auf konstruktive und beruhigende Weise.

Die Traumdoktoren leisten eine grossartige Arbeit.

Dr. Gilbert Zulian, Präsident Krebsliga Schweiz

Was denken Sie persönlich über die Arbeit der Traumdoktoren im Spital?

Es ist ein seriöser, strukturierter und erfahrungsbasierter Ansatz. Die unkonventionelle Art der Traumdoktoren angesichts eines Systems und der Situation, die ein krankes Kind durchmacht, zeugt von Mut. Und wenn man das Resultat sieht, ist es einfach grossartig. Als meine Mutter starb, wurde das gesammelte Geld Ihrer Stiftung gespendet. Es gibt nur wenige Organisationen, die den kranken Personen und ihren Familien so viel geben.

Mit welchen drei Wörtern würden Sie die Stiftung Theodora beschreiben?

Bescheidenheit, auf jeden Fall Grosszügigkeit und Mut. Oder einfach Liebe, denn das umfasst alle drei.

Spendenaktion von den Schülerinnen und Schülern der 4. Klasse Gams

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